Fünf Gründe, warum Berlin keine Bürohochhäuser am Gleisdreieck braucht

von Günter Piening

Die Bürotürme der Urbanen Mitte seien notwendig zur Sicherung des Angebots von Büroflächen in Berlin, so die Standardaussage vom Investor und vom Senat. Aber ist das wirklich so? Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Ein kurzer Überblick über die Fehlplanung „Urbane Mitte“.

1. Der Bedarf an Büroflächen in Berlin ist bis 2030 gesichert.

Im Stadtentwicklungsplan Wirtschaft 2030 (StEP Wirtschaft 2030) von 2019 (Drucksache 18/1870, 03.05.2019) bezifferte der Senat 1999 den Bedarf an zusätzlichen Büroflächen bis 2030 auf zusätzlich 4 Mio. qm (S. 113). Unter Berücksichtigung der seitdem entstandenen Büroflächen, des Leerstandes von 1,05 Mio qm sowie der derzeit im Bau befindlichen rund 2,1 Millionen qm (https://www.jll.de/de/trends-and-insights/research/bueromarktueberblick) ist dieser Wert längst erreicht.

Die Prognose stammt aus einer Zeit, als der Büromarkt boomte. Veränderte Arbeitswelten, der Trend zu kleineren Büros, die sinkende Nachfrage von Start-Ups sowie die Lage auf dem Kapital- und Baumarkt hat die Nachfrage zusammenbrechen lassen. „Berlin: Schwächstes Umsatzergebnis in Berlin seit 2013″ titelt das auf Bürovermarktung spezialisierte Unternehmen JLL seinen Marktreport zum 2. Quartal 2023. „Mit einem Umsatzvolumen von 254.200 m² verzeichnete das erste Halbjahr den geringsten Gesamtumsatz aller Vergleichszeiträume seit 2013.“ Gleichzeitig wuchs der Leerstand im zweiten Quartal 2023 auf 1,05 Millionen m² und liegt somit 67.000 m² über dem Niveau des Vorquartals sowie 204.500 m² über dem Niveau des Vorjahresquartals. Dieser Trend ist in allen Metropolen feststellbar: „In jeder der sieben Bürohochburgen war die Nachfrage rückläufig, das Minus reicht dabei von 15 Prozent in Frankfurt bis zu 70 Prozent in Stuttgart.“ (https://www.jll.de/de/trends-and-insights/research/bueromarktueberblick)

2. Nicht der Bedarf – die Rendite ist die treibende Kraft.

Trotz der offensichtlichen Überkapazitäten sind Büroimmobilien als Kapital-Anlage begehrt. Aber nur in der Innenstadt. Während außerhalb des Stadtbahnringes nur noch geringe Renditen durch Büros zu erzielen sind, steigen die Mieten (= Renditen) für Büros in den Innenstadtlagen weiter. Dementsprechend investieren die Immobilienkonzerne nicht in die Modernisierung der Büros außerhalb des S-Bahnringes (mit Leerstand in Folge), sondern in Neubauten in der Innenstadt. Fazit: Wenn die Urbane Mitte gebaut wird, dann nicht wegen des Bedarfs, sondern weil Büros in dieser Lage eine hohe Rendite für die Investoren versprechen.

3. Investitionsruine nicht ausgeschlossen

Die Lage auf dem Büroimmobilienmarkt treibt vermehrt Projektentwickler in die Insolvenz. Anfang August 2023 meldeten gleich drei große Unternehmen Insolvenz an: Development Partner, Project und Euroboden. Zu den Gründen schreibt CAPITAL: „Aufgrund der langen wie auch andauernden kritischen Marktentwicklung sind die Liquiditätsreserven aufgebraucht“, hieß es etwa von Development Partner aus Düsseldorf. Die Firma ist vor allem auf dem Büromarkt aktiv. Unter anderem betreut sie Projekte in der Kölner Innenstadt oder den Technologiecampus des IT-Giganten IBM bei Stuttgart.“ (https://www.capital.de/immobilien/pleitewelle–warum-immobilien-projektentwickler-in-der-krise-stecken-33734348.html).

Die drei insolventen Projektentwickler sind, so Capital, nur Beispiele für eine regelrechte Welle an Unternehmenspleiten in der Branche. Und die, so zeigen Daten, rollt gerade erst an. Das liegt auch an der Struktur dieser Projektentwickler: Sie betreuen meist den gesamten Planungs- und Bauprozess einer Immobilie. Die einzelnen Phasen dieses Prozesses überschneiden sich dabei. Die Vermarktung einer Immobilie kann zum Beispiel bereits während ihrer Konzeption begonnen werden. Und oft finanzieren sich Projekte gegenseitig. Wenn also eine Finanzierung ausfällt, beeinflusst dies auch andere Vorhaben. Capital: „Diese komplexe und gewagte Strategie wurde bisher mit hohen zweistelligen Renditen belohnt. Doch nun befindet sich der Immobilienmarkt im Abschwung und die Folgen riskanter Investitionen und fehlerhafter Entscheidungen der letzten Jahre werden offenbar.“

Es ist vollkommen unklar, ob unter den aktuellen Kapital- und Bausektorbedingungen die Urbane Mitte realisiert werden wird. Im schlimmsten Fall droht eine Investitionsruine wie etwa der Steglitzer Kreisel (dessen Investor, die Adler-Gruppe, ebenfalls kürzlich Insolvenz anmeldete).

4. Die Urbane Mitte widerspricht den Leitlinien der Senatspolitik.

Die Folgen des Überlassens immer größerer Teile der Innenstadt an Büroimmobilien-Investoren sind eine weitere Zerstörung der Innenstädte durch Verlust an Freiraum, Wohnraum, kleinteiligem Gewerbe (s. London, Paris). Das hatte 2019 auch der damalige Senat erkannt und im StEP Wirtschaft 2030 als stadtentwicklungspolitisches Ziel festgelegt, dass der Anteil der Büroflächen in der Innenstadt reduziert werden soll. Als Schwerpunkte der Berliner Büroentwicklung werden dort folgende strategische Ziele formuliert:
• „Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere auch der Digitalwirtschaft, durch eine nachfragegerechte Angebotsentwicklung unter Berücksichtigung der Zielsetzung einer gemischten und urbanen Stadt.
• Vermehrte Nutzung von geeigneten Büroflächenpotenzialen in der äußeren Stadt, beispielsweise entlang der Flughafenachse nach Schönefeld oder Schaffung von neuen urbanen, gemischtgenutzten Räumen in der S- Bahnring-Zone und an Universitätsstandorten. Im Rahmen der Zielsetzung der durchmischten und nachhaltigen Stadtstruktur der BerlinStrategie soll das Büroflächenneubauvolumen in der inneren Stadt von 80 auf 70 % reduziert und in der äußeren Stadt von 20 auf 30 % erhöht werden.
• Im Rahmen der BerlinStrategie soll eine durchmischte und vor allem eine nachhaltige Stadtstruktur geschaffen werden. Eine verstärkte Flächenentwicklung in der äußeren Stadt wird daher als grundlegendes und zentrales Mittel angesehen, um diese Ziele über eine Etablierung von weiteren urbanen Räumen und Kiezen zu erreichen.“ (StEP Wirtschaft 2030, S.114)

5. Die Urbane Mitte widerspricht den Leitlinien der Bezirkspolitik

Diese negative Entwicklung durch Bürobauten in renditeattraktiven Innenstadtlagen zerstört die Struktur gerade des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, der lebendig ist durch das Miteinander von Wohnen und kleinem Gewerbe („Kreuzberger Mischung“). Dieses ist dem Bezirk bewusst. Im Wirtschaftsflächenkonzept von 2022 (https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/politik-und-verwaltung/service-und-organisationseinheiten/wirtschaftsfoerderung/221107_wiko-gfm_klein.pdf) wird die Situation so beschrieben:

„Friedrichshain-Kreuzberg kommt als Vorbild für die sog. Berliner Mischung eine besondere Rolle zu. Handwerksbetriebe und produzierendes Gewerbe findet insbesondere in eingestreuten Standorten und in den Gewerbehöfen statt, die sich im gesamten Bezirk verteilen. Es werden eher klassische Flächen nachgefragt, die der Bezirk kaum bedienen kann. Die hohen (Miet-)Preise deuten darauf hin, dass renditeschwache Branchen zwar einen Bedarf an Flächen (auch im Bezirk) haben, diese jedoch im Bezirk nicht mehr anfragen. Eine Nachfrage von Flächen findet durch Unternehmen statt, die innerhalb des Bezirks verdrängt wurden und neue Standorte suchen.“ (S.48)

Die Schaffung von Wirtschaftsflächen für kleinteiliges Gewerbe wird darum im Wirtschaftsflächenkonzpet als zentrales Ziel der Standortpolitik angegeben. Im Kapitel „Entwicklung neuer Gewerbeflächen zur Sicherung der gewerblichen Daseinsvorsorge“ heißt es:
„Gewerbeflächen in kommunaler Steuerung sind für Gewerke vor allem aus dem Bereich des Handwerks vorzuhalten, deren Standorte aus Gründen der gewerblichen Daseinsvorsorge im Bezirk zu sichern sind. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sollte sich durch seine zentrale Lage und dem großen Bedarf an innerstädtischen Gewerbeflächen für Handwerk und Kleingewerbe für die Standortwahl landeseigener Gewerbehöfe stark machen.“ (S.49)
„Die Entwicklung von neuen kommunalen Gewerbehöfen kann ein Schlüsselbaustein sein, um beispielsweise Handwerkern, ausgewählten Start-Ups oder anderen förderungswürdigen Branchen auch zukünftig adäquate (Miet-)Flächen zu leistbaren Preisen anbieten zu können. Zudem sollen bestehende private Standorte und Ansätze entsprechend befördert werden.“ (S.49)

Als gelungenes Beispiel für die Förderung der Kreuzberger Mischung führt der Bezirk den Rathausblock an: „Entwicklungen wie auf dem Sanierungsgebiet Rathausblock bieten die Chance, innovative und resiliente Modelle des Miteinanders von Wohnen und Handwerk sowie kleinproduzierendes Gewerbe in einem verdichteten innerstädtischen Quartier zu entwickeln und zu erproben.“ (S.49)

Auch wenn der Investor versucht, den Hochhäusern mit ein paar Kleingewerbebetrieben (in den Gleisbögen) und einer Sporteinrichtung ein wenig Kreuzberger Mischungsgeschmack beizugeben: Es bleibt ein Bürokomplex, der genau das Gegenteil von dem ist, was der Bezirk in seinem Wirtschaftsplan anstrebt.

Fazit

Der Berliner Büroflächenmarkt braucht keine Urbane Mitte. Mit diesem Bau werden wertvolle Innenstadtflächen missbraucht zugunsten der Rendite einiger Investoren. Die Berliner Strategie, den Anteil an Büroflächen im Innenstadtbereich zu reduzieren, wird konterkariert, und statt einer Stärkung der Kreuzberger Mischung entsteht ein anti-urbanes Areal wie der Potsdamer Platz. Oder eine Investitionsruine. Dabei böten sich die Flächen mit ihrer guten Verkehrsanbindung, den historischen Bauten und dem Park nebenan geradezu an für die Umsetzung eines gemeinwohlorientierten Modellprojekts im Sinne des Kreuzberger Wirtschaftsflächenkonzepts – mit Gewerbehof, Kleingewerbe, Dienstleistungen sowie Kultur- und Gemeinschaftsanlagen.

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